Hallo zusammen,
irgendwo schrieb gerade wieder jemand, dass ein Kind in der Schule seine Medikamente nicht bekommt, weil die Lehrer sich weigern, sie zu geben.
Ich finde die Stelle leider im Moment nicht wieder, darum eröffne ich einen neuen Thread dazu.
Beim Suchen nach etwas anderem habe ich dazu gerade diese Info gefunden, die sich zumindest auf die rechtliche Situation in Baden-Württemberg bezieht:
http://www.schulaemter-bw.de/servlet/PB/show/1269722/Aufsicht-chronKranke-Text08.pdfIch zitiere, die Hervorhebungen stammen so von mir:
"
Aufsichts- und Fürsorgepflicht
bei Schüler/-innen mit chronischen ErkrankungenLehrkräfte sind täglich in der Pflicht, der gebotenen Aufsicht über die Schüler/-innen nachzukommen.
[...]
Neben dem im Schulgesetz beschriebenen Erziehungs- und Bildungsauftrag haben Lehrerinnen und Lehrer auch einen Betreuungsauftrag (und zwar unabhängig vom Alter, auch bei über 18 jährigen Schülern !).
Die Art und Intensität der Betreuung und Fürsorge variiert je nach Alter, persönlicher Eigenart und Situation der Schüler und umfasst das Schuhe Binden bei Erstklässern im Sportunterricht genauso wie gegebenenfalls das Verabreichen einer Spritze bei chronisch kranken Schülern.
3 Kategorien der Aufsichts- und Fürsorgepflicht:
[...]
Was muss die Lehrkraft tun?
•
Verpflichtung zu erster Hilfe bei Unfällen, Ohnmacht, Kollaps etc., > geeignete Rettungsmaßnahmen einleiten (Pflicht die eigene Rettungsfähigkeit immer wieder zu aktualisieren!)
•
Schüler vor erkennbaren oder vorhersehbaren Gefahren / Beeinträchtigungen schützen:
Drogen, Straßenverkehr, Sonnenstich oder Hitzeschlag bei Ausflügen, Unterkühlungen im Winter, gefährliche Situationen und Überforderungssituationen im Sport-, Schwimmunterricht und bei Schullandheimaufenthalten, Vernachlässigung durch das Elternhaus, Verwahrlosung, Selbst- und Fremdverletzungen etc.
•
Spezielle „fürsorgliche“ Maßnahmen bei chronisch kranken Schülern.
„Fürsorge“ bedeutet dabei nicht, einen kranken Schüler von Gemeinschaftsveranstaltungen auszuschließen,
> sondern:
ο
Modifizierung bei der Planung der außerunterrichtlichen Arrangements (Begleitpersonen, Nahrungsmittelauswahl, Transparenz der Situation für alle Beteiligten, Elternbeteiligung, vorherige Notfallplanung etc.)
ο
Selektives Unterrichtsangebot in Sport / Schwimmen u. a. Fächern (Siehe: Nachteilsausgleich)
2
Im Rahmen ihrer Dienstpflichten sind Lehrkräfte zu den oben skizzierten Fürsorge- und Betreuungsaufgaben verpflichtet. Die Angst sich in Ausübung dieser Tätigkeiten durch Kompetenzüberschreitung strafbar zu machen, kann dabei kaum als Hinderungsgrund angeführt werden. Für beamtete und angestellte Lehrer gilt nämlich in Ausübung ihres Dienstes das Prinzip der „Staatshaftung“, d.h. Klage von Dritten muss gegen das Land Baden-Württemberg geführt werden. Das Land kann dann bei seinen Bediensteten zwar Regress nehmen, aber nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz, und das ist äußerst selten.
⇒ Grundsatz:
In Notsituationen falsch zu handeln ist besser als nicht zu handeln!! Was darf die Lehrkraft tun?
Adäquates Handeln bezogen auf kranke Kinder und Jugendliche erfordert natürlich Handlungssicherheit. Doch auch hier besteht kein Grund zur Sorge, wenn einige Regeln beachtet werden.
Bei Schülern, die aufgrund ihrer Krankheit in Notsituationen geraten können, wo die Verabreichung von Medikamenten erforderlich sein kann, soll die Schule von den Eltern eine Ermächtigung anfordern.Für beide Seiten – Eltern und Schule – ist dabei wichtig zu wissen, dass die Personensorge gegenüber den Kindern und Jugendlichen nur erfüllt werden kann, wenn auch beide Seiten über die entsprechenden Informationen verfügen:
•
Die Lehrer müssen über die Krankheit und den erforderlichen Umgang mit dem Schüler Bescheid wissen.
•
Die Eltern müssen die Lehrer gegebenenfalls mit Unterstützung eines Arztes über angemessenes Verhalten in Bezug auf die Krankheit instruieren.•
Um der Betreuungspflicht nachzukommen, müssen sich die Lehrer / die Schule allerdings aktiv um den Erhalt von Informationen bemühen, wenn die Eltern nicht von sich aus informieren. >> Elternabende, Fragebogen bei Aufnahme, persönliche Gespräche etc
•
Mit der Ermächtigung der Eltern und der erforderlichen Instruktion ist es selbstverständlich, dass ein Lehrer verordnete Medikamente verabreicht, oder an die Einnahme erinnert, gegebenenfalls auch beim Spritzen behilflich ist oder spritzt (nicht intravenös). Vom Betreuungsaspekt her gesehen ist das gleich zu setzen mit der Verpflichtung der Lehrkraft bei einem Schulausflug zum Beispiel an einem sehr heißen Tag auf die notwendige Flüssigkeitsaufnahme der (insbesondere jüngeren!) Schüler zu achten.•
Wie weit diese medizinische Fürsorge gehen kann, hängt natürlich auch von der Zumutbarkeit gegenüber dem jeweiligen Lehrer ab. Das ist nicht allgemein festlegbar.
Welche
allgemeine Regeln sind zu beachten?
Regierungsdirektor Berner RP Stuttgart (1999):
[...]
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Während man bei der allgemeinen Aufsichtspflicht immer wieder unvorbereitet vor unerwartete Situationen gestellt wird, kann man sogar möglicherweise bei der Fürsorge für chronisch kranke Schüler schon im Vorfeld bestimmte zu erwartende Situationen klarer kalkulieren.
Inwieweit die medizinischen Interventionen für die einzelne Lehrkraft zumutbar sind, muss in den Einzelsituationen geklärt werden.
Allgemein nicht zumutbar ist sicher intravenöses Spritzen z.B. bei einer allergischen Schockreaktion. Ausnahmen können dann bestehen, wenn ein Lehrer auch noch Rettungssanitäter ist oder eine Lehrerin gelernte Krankenschwester.
Als grundsätzliche Regel für Abgabe von Medikamenten kann gelten:
>> Wenn eine Beauftragung der Eltern mit klarer Angabe von Zeitpunkt und Dosierung der Medikamente vorliegt, gehört dies zu den Betreuungsaufgaben der Lehrkräfte dazu.
>> Wenn weder Klarheit über Diagnose, noch über Dosierung und Zeitpunkt besteht, dürfen keine Medikamente verabreicht werden: z.B. Schmerztabletten, Kreislauf unterstützende Mittel etc.⇒ Maßgabe für Lehrkräfte:
Keine Diagnose oder Therapie durch die Lehrkräfte, sondern nur Durchführung der Betreuung !
⇒ Verantwortung
Die letztendliche Verantwortung für schulorganisatorische Maßnahmen bleibt nach § 41 Schulgesetz bei der Schulleitung!
Wesentliches als Schlussanmerkung:
Bitte sorgen Sie in Absprache mit den Eltern und den Betroffenen für eine
SCHULINTERNE INFORMATIONSWEITERGABE
über die besonderen Bedingungen kranker Schülerinnen und Schüler an alle betroffenen Lehrkräfte gegebenenfalls auch an die Eltern der Klasse.
Vortrag am Fachtag für Lehrer/-innen aller Schularten am 29.11.08 in der Kinderklinik Tübingen
zum Thema
„Schüler/-innen mit chronischen Erkrankungen in meiner Klasse“Max Leutner
Sonderschulrektor
Staatliche Schule für Kranke
am Universitätsklinikum Tübingen"
Das ist doch mal eine klare Aussage!
Wenn eine klare Instruktion besteht, wann welche Medikamente zu geben sind, dürfen sich die Lehrer also zumindest in Baden-Württemberg nicht weigern, diese Medikamente zu geben (intravenöse Spritzen ausgenommen).
Ich bin sicher, in den anderen Bundesländern gibt es ähnlich klare Regelungen. Wir können sie ja nach und nach hier in den Thread posten, wenn wir sie finden.
Liebe Grüße
Cornelia